Uns Priestern war klar, dass angesichts der aufgeheizten Stimmung eine sachliche Debatte schwierig ist.
Dennoch wollten wir uns der Öffentlichkeit stellen, damit einerseits manche an uns Priestern ihre Wut und Enttäuschung ablassen konnten und anderseits die Menschen nicht das Vertrauen in den weit überwiegenden Teil der unbescholtenen Priester verlieren.
Als Thema wählten wir daher: „Kann man der Kirche und den Priestern überhaupt noch trauen?“
Am Mittwoch, den 17. Oktober, um 20.00 Uhr waren nur etwa 40 Personen im Pilgerhaus versammelt. Unter ihnen befand sich auch der Journalist Christian Gall von den „Mittelschwäbischen Nachrichten“.
Keine Frage war für uns Priester, dass wir voll auf der Linie unseres Bischofs stehen, d. h. wir schämen uns dafür, was einzelne Priester durch sexuellen Missbrauch Kindern Schreckliches angetan haben. Diese Priester sollen hart bestraft und diese Verbrechen sollen nach Möglichkeit einigermaßen wiedergut gemacht werden und jede Vertuschung und Verharmlosung dieser schweren Sünden muss aufhören. Das haben wir auch immer wieder an diesem Abend versucht zum Ausdruck zu bringen.
Da der Wallfahrtsdirektor wusste, dass Pfarrer Meir die Kirche nicht schonen werde, erklärte er zur Begrüßung, dass dieser Abend für fromme Katholiken kein Kuschelabend wird.
Das einführende Referat von Pfarrer Meir war nur kurz, damit die Teilnehmer ausführlich Gelegenheit zur Aussprache hatten.
Der Vortrag von Pfarrer Meir setzte einiges theologische Wissen voraus. So ist es für einen Kirchenfernen z. B. leicht missverständlich, wenn Pfarrer Meir zu Recht davon sprach, dass sich die Kirche trotz all der Verbrechen ihrer Glieder nicht versündigen kann. Das klingt nach Reinwaschen und Verharmlosung. Aber es sind die schweren Sünder die die Kirche beschmutzen. Die Kirche als solche aber bleibt heilig, weil sie der Leib Christi ist und Christus durch sie in den Sakramenten, in der Verkündigung und den sozialen Werken handelt.
Überraschenderweise waren nun aber an diesem Abend fast überhaupt keine kirchenkritischen Besucher da, sondern den meisten ging es mehr oder weniger darum, die Priester und die Kirche in Schutz zu nehmen.
Das war nun aber für einen Außenstehenden sicherlich irritierend und schwer einzuordnen. Der Wallfahrtsdirektor hatte als Moderator bei dieser unerwarteten Konstellation eine ganz schwierige Rolle, weil er sich immer wieder um Ausgewogenheit bemühen und doch auch immer wieder mancher Kritik wenigstens zum Teil rechtgeben musste – z. B. bei der Kritik an den Medien.
Nun ein paar Beispiele, wie es zu einer einseitigen Berichterstattung kommen konnte: Ein Herr kritisierte die Medien, wie sie den Missbrauch nutzen, um gegen die Kirche zu hetzen. Wallfahrtsdirektor Reichart erklärte dass es auch seriöse Medien gebe und nahm die örtliche Zeitung auch noch in Schutz. Dann zitierte er aber auch den Medienprofessor Professor Dr. Gindert, der vor einigen Wochen in Maria Vesperbild erklärt habe, dass bestimmte Medien tatsächlich eine Kampagne gegen die Kirche betreiben würden. Eine Kampagne sei es, wenn eine Zeitung immer wieder den gleichen Fall aufwärme.
In der Zeitung kam das dann so rüber, als ob der Wallfahrtsdirektor von der Schuld der Kirche ablenken wolle und die Schuld bei den Medien suche.
Eine Frau kritisierte, dass man doch laut Beichtspiegel Fehler anderer nicht unnötig weiter erzählen darf. Der Wallfahrtsdirektor ergänzte, dass Missbrauch ein Verbrechen ist und dass daher für jeden Menschen eine Verpflichtung besteht, dieses anzuzeigen. Die Frau hakte nach und meinte, dass man das aber doch nicht der Presse mitteilen muss. Der Wallfahrtsdirektor erklärte ihr, dass man das nicht der Presse mitteilen muss und meinte damit eben den normalen Bürger. Die Staatsanwaltschaft oder die Diözese gibt es schon der Presse weiter, ergänzte er noch. Daraus wurde, dass der Wallfahrtsdirektor für Vertuschung und Ausschaltung der Öffentlichkeit ist.
Als Beispiel, wie in der Gesellschaft und damit auch in der Kirche noch vor einigen Jahrzehnten Kindermissbrauch verharmlost wurde und damit die Hemmschwelle für abartig veranlagte Priester niedrig wurde, nannte der Wallfahrtsdirektor maßgebliche Teile der „Grünen“, die in den 80ger Jahren forderten, dass Sex mit Kindern straflos werden soll. Dagegen gab es damals in der Gesellschaft und auch in der Kirche keinen Aufschrei. Mit noch anderen Beispielen wurde daraus in der Zeitung der Eindruck, die Priester schieben die Schuld weg von der Kirche auf die Gesellschaft.
Die Diözese hat sich von den in der Zeitung veröffentlichten Aussagen distanziert. Daraus wurde in Medien: Die Diözese distanziert sich von Maria Vesperbild.
Als der Wallfahrtsdirektor die Meinung der Priester klar stellte, wurde daraus in der Zeitung, dass die Geistlichen zurückrudern.
Ist nicht die Wahl der Überschrift des Artikels in der „Mittelschwäbischen Zeitung“ schon ein klassisches Beispiel für Manipulation?
Dort hieß es in fetten großen Lettern: „Die Kirche kann sich nicht versündigen“
Dieses Zitat von Pfarrer Meir ist aus dem theologischen Zusammenhang herausgerissen und bekommt im Zusammenhang mit der weit verbreiteten weltlichen Sicht der Kirche einen völlig anderen, geradezu verrückt klingenden Sinn.
Für die ganz große Mehrheit der theologisch ahnungslosen Leser muss eine solche Aussage angesichts der schrecklichen Missbrauchsverbrechen geradezu als eine Unverschämtheit und eine unerhörte Provokation erscheinen. Die Leser haben allein schon durch diese Überschrift den Eindruck bekommen, dass in Maria Vesperbild Priester sein müssen, die die Missbrauchsfälle nicht nur verharmlosen sondern auch noch reinwaschen wollen. Entsprechend gehässig war ihre Reaktion in den Leserbriefen.
Denn selbst die allermeisten Christen wissen nicht mehr, dass die Kirche – wie oben schon dargestellt – mehr ist als bloß eine weltliche Vereinigung. Man könnte sie in biblischer Sicht mit einem Menschen vergleichen, der äußerlich voller hässlicher Krebsgeschwüre ist aber doch eine unsichtbare heilige Seele hat.
Auf unserer Veranstaltung waren nun aber durchwegs Leute, die Pfarrer Meir richtig verstehen konnten. Darum hat auch kein einziger Zuhörer kritisch bei Pfarrer Meir nachgefragt.
Vor dieser Veranstaltung hatten wir noch extra ausgemacht, dass wir so beweglich sein müssen und uns ganz und gar nach der Zusammensetzung und den Voraussetzungen des Publikums richten müssen.
Vielleicht war das Hauptproblem das, dass dem Journalisten die theologischen Voraussetzungen fehlen und dass es so zwangsläufig zu Missverständnissen kommen musste?
Ist es nicht so, dass sich inzwischen in Sachen Kirche und Glaube jeder kompetent fühlt, mitzureden und zu urteilen?
Erwin Reichart, Wallfahrtsdirektor