Wallfahrtsrektor Erwin Reichart steht wegen eines Vortrags in der Kritik. Nun spricht er über Missbrauch und Medien. Von Kilian Martin
08. November 2018
Erwin Reichart ist Wallfahrtsrektor von Maria Vesperbild Foto: Andreas Düren
Herr Wallfahrtsrektor Reichart, nach einer Diskussionsveranstaltung zum Missbrauchsskandal in Maria Vesperbild werden Sie in den Medien heftig kritisiert. Was war das Ziel Ihrer Veranstaltung?
Wir haben gemerkt, dass viele Gläubige wegen der sexuellen Missbräuche durch Priester sehr verunsichert sind und wollten daher einen Abend anbieten, an dem sie sich offen aussprechen können. Wir wollten auch dazu bereit sein, dass enttäuschte Menschen ihre Wut und ihren Frust an uns ablassen können. Ziel des Abends war es aufzuzeigen, dass der weitaus überwiegende Teil der Priester vertrauenswürdig ist. Das Thema des Abends lautete daher: „Kann man der Kirche und den Priestern noch vertrauen?“
Sie werden zitiert mit dem Satz: „An Universitäten gibt es Professoren, bei denen es nicht so genau zugeht, etwa beim sechsten Gebot. So kommt es dann zum Missbrauch.“ Wie meinen Sie das?
Ich kann nicht glauben, dass ich diese Schlussfolgerung in einer so einfältigen Weise gezogen habe. Wenn überhaupt, dann ist dieses „Zitat“ aus einem größeren Zusammenhang gerissen. Es war die Frage, wie es zu erklären ist, dass sogar Priester solche schrecklichen Verbrechen begehen. Von einer solchen bösen Veranlagung bis zur Tat ist doch ein weiter Weg. Müsste nicht gerade ein Priester bei so einer schweren Sünde zum Beispiel die Hölle fürchten. Da müssen doch Hemmschwellen gefallen sein. Ich erklärte, dass bestimmt auch die allgemeine Liberalisierung des sechsten Gebotes diese Hemmschwelle verringert hat. Es ist ein offenes Geheimnis, dass zum Beispiel selbst manche Theologieprofessoren das sechste Gebot lockerer sehen und nicht wenige auch die Hölle leugnen. Als Beispiel für die allgemeine Liberalisierung führte ich auch an, dass in den Achtzigerjahren maßgebliche Teile der Grünen sogar forderten, dass Sex mit Kindern nicht mehr bestraft werden soll. Ich erklärte, dass ich mich nicht erinnern kann, dass damals in der Gesellschaft oder wenigstens in der Kirche ein großer Aufschrei gegen diese Forderung war. Priester leben nicht im luftleeren Raum, sondern sind den Einflüssen ihrer Umgebung ausgesetzt. Mit dem Erklärungsversuch, dass die Liberalisierung der Sexualmoral auch eine Rolle bei Missbrauchsfällen spielen wird, haben wir natürlich an einer hochheiligen Kuh gekratzt – nicht bei den Zuhörern in Maria Vesperbild – aber ganz offensichtlich bei einer Reihe von Journalisten.
Sie sollen auch die Berichterstattung der Medien über Missbrauchsfälle kritisiert haben. Diese sei eine „Kampagne gegen die Kirche“. Ist es nicht richtig, wenn offen gegen Sünden und Verbrechen gekämpft wird?
Natürlich ist es richtig, dass endlich offen auch über die Medien gegen diese Verbrechen vorgegangen wird. Die leidenden Opfer haben das verdient. Auf den Vorwurf einer Pressekampagne von Seiten eines Besuchers habe ich sogar ausdrücklich die örtliche Presse in Schutz genommen und sie gelobt. Zum Dank dafür bin ich jetzt von dieser Zeitung „in die „Pfanne gehauen“ worden und infolge dessen bundesweit an den Pranger gestellt worden. Ich habe allerdings auch Hubert Gindert zitiert, der vor einigen Wochen bei einem Vortrag in Maria Vesperbild festgestellt hat, dass es sehr wohl auch Medien gibt, die die Missbrauchsfälle für eine Kampagne gegen die Kirche nutzen.
Nach der Berichterstattung über Ihre Veranstaltung kritisieren Sie nun erneut die Medien und sprechen von Manipulation. Wo haben die Medien Fehler gemacht?
Hier ein Beispiel für Manipulation: Mit großen fetten Lettern stand hier in der Zeitung ein Zitat von Pfarrer Maier als Überschrift: „Die Kirche kann sich nicht versündigen“. Dieser Satz ist aus einem ausführlich erklärten theologischen Zusammenhang herausgerissen und in einen weltlichen Kontext hineingestellt worden. Damit bekommt es einen völlig anderen, in der aktuellen Stimmungslage geradezu verrückt klingenden Sinn. Für die meisten theologisch unwissenden Leser muss ein solcher Satz angesichts der schweren Missbrauchs-taten durch Priester wie eine Verhöhnung der Opfer klingen. Die Leser müssen allein schon aufgrund dieser Überschrift den Eindruck bekommen, dass die Priester von Maria Vesperbild die Kirche von diesen Verbrechen rein waschen wollen und alles verharmlosen. Entsprechend gehässig waren dann auch die Reaktionen in den Medien. Aber Pfarrer Maier hatte deutlich erklärt, dass zwar die Glieder der Kirche sündigen können, aber die Kirche als solche heilig ist, weil Christus durch sie sein Heil wirkt. Die Kirche ist der „Leib Christi“. Wir sind in der Zeitung auch nur schwer zu Wort gekommen. Ein positiver Leserbrief zum Beispiel, den eine ganze Reihe von Ohrenzeugen dieses Abends unterzeichnet haben, wurde nicht abgedruckt.
Bischof Konrad Zdarsa hat in einer Mitteilung erklärt, dass die Kirche sich in erster Linie um die Opfer sorgen müsse. Stimmen Sie ihm zu?
Natürlich voll und ganz! Das hat man in der Kirche viel zu spät erkannt. Ich weiß aus der Seelsorge zum Beispiel mehrere Fälle, wo Frauen schreckliche psychische Probleme wegen eines Missbrauchs durch einen Angehörigen haben. Bei einer weiß ich, dass eigentlich ihr ganzes Leben zerstört ist. Sie ist nicht zu einer normalen Ehe fähig. Unser Bischof bemüht sich mit seinen Mitarbeitern sehr, gegen den Missbrauch offensiv vorzugehen. Mich ärgert sehr, dass in manchen Medien der Eindruck erweckt wurde, als ob wir im Gegensatz zur Linie unseres Bischofs stehen würden.
Sie hatten bei der Veranstaltung gewarnt, dass die Missbrauchsdebatte bei manchen Menschen zu einer Gefahr für den Glauben werden könnte. Wie kann man das Problem des Missbrauchs bekämpfen und zugleich die Menschen in ihrem Glauben bestärken?
Ich musste leider die Erfahrung machen, dass die Stimmung derart aufgeheizt ist, dass eine differenzierende Diskussion nicht mehr möglich ist. Die hohen Kirchenaustritte zeigen tatsächlich, dass die Missbrauchsfälle vielen „den letzten Rest“ geben. Die Kirche muss Vertrauen zurückgewinnen, indem sie Zeichen der Umkehr und Buße setzt. Ein Fast- und Gebetstag wäre zum Beispiel eine Idee. Die Heiligkeit der Kirche muss wieder aufleuchten und das geht nur, wenn wir die Kirche entweltlichen. Papst Benedikt hat einmal sinngemäß gesagt: Immer wieder hat uns in der Geschichte die Welt geholfen, uns zu reformieren. Der ganze Skandal ist jetzt eine große Chance, die Entweltlichung auf allen Ebenen durchzusetzen. Für uns Priester müssen die Missbrauchsfälle Anlass sein, um so mehr ein gutes Beispiel in der Gottes- und Nächstenliebe und damit in der Opferbereitschaft zu geben. Ganz wichtig ist auch die Verkündigung und Katechese über das Wesen der Kirche. Auch wenn die Glieder der Kirche noch so schlecht sind, bleibt Jesus in der Kirche am Werk. Das Wirken Jesu kann uns keiner nehmen. Die Kirche müsste daher vielmehr in die Medien einsteigen. Es ist aufschlussreich: Der „Shitstorm“ gegen mich – so ein mitfühlender Mitbruder – war nur in der medialen Welt. In der realen Welt habe ich dagegen außer zweier negativer Emails nur Zustimmung und Rückenstärkung – auch von Prominenten – bekommen. Offensichtlich bestimmen mehr und mehr die Medien unsere Wahrnehmung, nicht die reale Welt.
2 Gedanken zu “„Zum Dank bin ich an den Pranger gestellt worden“”
Sehr verehrter Hw. Herr Rektor Reichart,
ein ganz herzliches VERGELTS GOTT für Ihre so mutigen Worte bezügl. Mißbrauch kath. Priester!
Sie haben "den Nagel auf den Kopf getroffen".
Lassen Sie sich von den "Wölfen in Schafspelzen" nicht entmutigen.
Leider haben heutzutage nur wenige Priester den Mut, für die volle Wahrheit einzustehen.
Drum ist die Kirche heut auch so kaputt.
Bleiben Sie weiterhin mutig und der unverfälschten Lehre Jesu Christi treu.
Ein verwässertes und verweichlichtes Christentum hilft niemanden, am allerwenigsten den unsterblichen Seelen.
Viele Grüsse, in Dankbarkeit
Siglinde Aumann
Auch wenn das Bodenpersomal schlecht ist kann es das Fundament der römis h katholischen Kirche nicht zerstören.
Die Spreu wird sich vom Weizen trennen.Wir Katholiken sollten die Macht des täglichen Lebens neu entdecken und praktizieren. Es gibt Halt und Zuversicht.
Herzliche Grüße
Christof Rienermann