Wie die modernistischen Kräfte in der Kirche hofften, auf der Bischofssynode die Unauflöslichkeit der Ehe anzutasten und den in einer neuen Verbindung lebendenden Geschiedenen eine kirchliche Anerkennung zu verschaffen, so hofft man auch, den priesterlichen Zölibat endlich zu Fall zu bringen. Papst Franziskus hat selbst Hoffnungen in diese Richtung geweckt, indem er beim Rückflug aus dem Heiligen Land im vergangenen Jahr gegenüber der Presse sagte, die Tür sei in dieser Sache offen.
Dabei zeigen gerade die Diskussionen um die Unauflöslichkeit der Ehe, wie wichtig der priesterliche Zölibat ist. Es ist nämlich unbestreitbar, dass die göttlichen Gebote hinsichtlich der Ehe den Einzelnen unter Umständen hart treffen und viel kosten können. Wenn z. B. ein Ehepartner dem anderen die Treue bricht und ihn verlässt, so bleibt der unschuldige Partner doch durch das Eheband gebunden, so dass er keine neue Verbindung eingehen darf und von nun an in völliger Enthaltsamkeit leben muss. Gerade in diesem Fall ist das Beispiel der Priester und Ordensleute wichtig, die nicht aus Notwendigkeit, sondern freiwillig auf die Ehe verzichtet haben und den übrigen Gläubigen die enthaltsame, ganz Gott hingegebene Lebensweise vorleben. Besonders der Priester, der den Gläubigen die Unauflöslichkeit der Ehe verkünden und diejenigen, deren Ehe gescheitert ist, zur Enthaltsamkeit ermahnen muss, kann dieser Pflicht leichter nachkommen, wenn er selbst schon freiwillig in dieser Enthaltsamkeit lebt. Der Zölibat hat also hier eine wichtige pastorale Bedeutung. Dies ist natürlich nicht der einzige Grund für den Zölibat und auch nicht der wichtigste. Entscheidend ist vielmehr, dass Christus selbst ehelos gelebt hat und der Priester, der ihn sakramental vertritt, ihn auch hierin nachahmen soll. Wenn es zudem nach Mt 19,12 solche gibt, die „um des Himmelreiches willen“ auf die Ehe verzichten, und nach 1 Kor 7,32 die ungeteilte Hingabe an den Herrn für den Unverheirateten leichter ist, dann müssen die Priester an erster Stelle zu dieser Lebensweise berufen sein.
Es ist denn auch nicht wahr, dass die Kirche die Macht hätte, den Zölibat abzuschaffen. Die theologische Forschung der letzten Jahrzehnte hat herausgestellt, dass der Zölibat zweifellos auf eine apostolische Anordnung zurückgeht. Zwar nahm man die Priester und Bischöfe in den ersten Jahrhunderten der Kirchengeschichte oft aus den Reihen der verheirateten Männer, aber diese mussten sich nach ihrer Weihe der Ehe enthalten und durften – wenn überhaupt – mit ihrer Ehefrau nur noch wie Bruder und Schwester zusammenleben.
Wenn der Apostel Paulus unter den Eigenschaften eines Bischofs oder Diakons angibt, sie sollten nur „einer einzigen Frau Mann“ (1 Tim 3,2 bzw. 3,12) sein, so ist damit nicht gemeint, dass Bischof und Diakon nach ihrer Weihe weiter in der Ehe leben dürften, sondern hier wird die Wiederverheiratung gerade als Zeichen der Unfähigkeit zu einem enthaltsamen Leben gedeutet. Wer nach dem Tod seiner ersten Frau nochmals heiratet, gibt damit zu erkennen, dass er sich zu einem Leben in vollkommener Enthaltsamkeit nicht fähig fühlt, und er soll darum nicht zu einem höheren Weiheamt zugelassen werden. Anders gibt diese Vorschrift keinen Sinn, denn wenn der Geistliche weiter in der Ehe leben dürfte, dann könnte eine zweite Ehe kein Hindernis für die Weihe sein. So schreibt dann z. B. der hl. Epiphanius von Salamis (315–403): „Aus den Reihen der Jungfräulichen ist das Priestertum zumeist zusammengesetzt, oder wenn nicht aus Jungfräulichen, dann gewiss aus Mönchen; wenn aber aus der Ordnung der Mönche sich Geeignete zur Verwaltung jenes Dienstes nicht finden, so pflegen die Priester aus denen gewählt zu werden, welche sich ihrer Frauen enthalten oder nach bloß einer Ehe im Witwerstand sind“ (Expositio fidei 21).
Sicherlich wurde der Zölibat nicht immer gut gehalten. Zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten kam es in diesem Punkt zu großen Nachlässigkeiten. Das beklagt schon derselbe Kirchenvater: „An manchen Orten noch zeugen die Priester, Diakone und Hypodiakone Kinder. Ich antworte, dass dies nicht gemäß der Regel geschieht, sondern wegen der Lässigkeit der Menschen“ (Haer. 59,4). Als im 4. Jahrhundert die ersten ausdrücklichen Zölibatsgesetze aufgestellt wurden, proklamierte man den Zölibat nie als eine Neuerung, sondern immer nur als eine neuerliche Geltendmachung der alten Ordnung. Die Väter des Afrikanischen Konzils von 390 beriefen sich sogar ausdrücklich auf die apostolische Überlieferung, als sie die Verpflichtung zum Zölibat neu einschärften.
Die Ostkirche hat allerdings auf einer Synode im 7. Jahrhundert (dem Trullanum II im Jahre 691) der allgemein eingerissenen Praxis nachgegeben und den Priestern die Fortsetzung einer vor ihrer Weihe geschlossenen Ehe erlaubt. Nur für die Bischöfe hat man hier die alte Praxis bewahrt. Diese werden normalerweise aus dem Mönchsstand gewählt. Sollte jedoch ein verheirateter Priester Bischof werden, müsste er sich von seiner Ehefrau trennen.
Die katholische Kirche duldet diese Regel für die zur Einheit mit ihr zurückgekehrten Priester der Ostkirche. Auch protestantischen Pfarrern, die zur Kirche konvertieren und Priester werden, wird seit Pius XII. meist die Fortsetzung ihrer im Protestantismus geschlossenen Ehe erlaubt. Dies gilt nach der Anordnung Benedikts XVI. in Anglicanorum coetibus auch für die verheirateten anglikanischen Geistlichen, die in den neu geschaffenen katholischen Ordinariaten die Priesterweihe empfangen und als katholische Priester wirken wollen.
Dies alles sind jedoch Ausnahmeregelungen. Die Kirche duldet um des hohen Gutes der katholischen Einheit willen gewisse Abweichungen vom priesterlichen Ideal. Eine grundsätzliche Aufhebung des Zölibats wäre jedoch eine schwerwiegende Abirrung von dem Weg, den Christus durch seine Apostel der Kirche vorgezeichnet hat. So wie der Papst nicht die Macht hat, den Glauben zu ändern, so steht es ihm auch nicht zu, die apostolische Tradition in Fragen der Disziplin in grundlegender Weise umzustoßen. Sowohl der Zölibat als auch die Unauflöslichkeit der Ehe können für den Menschen unter Umständen zu einer schweren Prüfung werden. Hier gilt es dann, ernst zu machen mit dem Wort Christi: „Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lk 9,23). Diejenigen, die die Abschaffung des Zölibats und der Unauflöslichkeit der Ehe fordern, suchen ein Christentum ohne Kreuz und Opfer. Das gibt es jedoch nicht, denn der Herr hat ebenfalls gesagt: „Wer sein Kreuz nicht auf sich nimmt und mir nicht nachfolgt, ist meiner nicht wert“ (Mt 10,38).